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Das Wittgenstein-Haus oder “Ein Haus in Bewegung” Teil II

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19. Dezember 2012 | Sabrina Möller

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Zum Teil I: Das Haus Wittgenstein oder „Ein Haus in Bewegung“

Ludwig Wittgenstein hatte ein feines Sensorium für Proportionen. Wie genau dieses war, zeigt sich an einem Beispiel, das einen schon fast zum Schmunzeln bringt: die Decke des Saales musste aus Proportionsgründen um 3 cm nachträglich gesenkt werden.[1] Eine Feinheit, die viele mit dem bloßen Auge vielleicht nicht einmal feststellen würden – ein klares Indiz für die Präzision in seiner Architektur.

Ludwig Wittgenstein, Haus Wittgenstein, Grundriss EG.

Ludwig Wittgenstein, Haus Wittgenstein, Grundriss EG. Quelle: Bernhard Leitner, Das Wittgenstein Haus, in: Günter Abel (Hrsg.), Ludwig Wittgenstein, Ingenieur – Philosoph – Künstler, Berlin 2007.

Ähnlich der Situation in der Halle des Wittgenstein Hauses ist auch der Saal im Anschluss an die Umbauarbeiten nicht mehr in seinem ursprünglichen Zustand. Ursprünglich gab es eine Trennung zwischen dem Wohn- und Musikzimmer, welches heute durch einen Durchbruch als ein Raum erscheint. Die breite und bodenlange Fensterfront zur Terrasse lässt viel Licht in den Raum. Doch die heute weiß gestrichenen Wände reflektieren das Licht nicht, ebenso wenig der inzwischen abgestumpfte Terrazzo-Boden. Es war gerade die Reflektion des Lichtes, die eine große Wirkung in diesen Räumen hatte. So verwendete Wittgenstein an den Wänden einen gelblichen Stuccolustro. Es handelt sich dabei um eine aufwendige und entsprechend kostspielige Technik: auf durchgefärbten Mörtelgrund wurde das Aufmalen einer Marmorierung vorgenommen. Diese Kalkputztechnik besteht aus einem Grundputz aus Kalk und Sand sowie mehreren Marmorsand-Sumpfkalkschichten die nass-in-nass aufgetragen werden. Erst bei der letzten Schicht wird der marmorne Farbton hinzugefügt und die Marmorierung in den noch feuchten Putz gemalt. Eine aufwendige Technik, die an nur einem Tag ausgeführt werden musste. Umso bedauerlicher, dass diese Wände einfach mit weißer Farbe übermalt wurden. Denn der Glanz dieser Wände reflektierte das Licht. Hinzu kommt, dass die Wand mit der Wirkung von Marmor einen enorm präzisen Abschluss zum Boden ermöglicht hatte. Die Fliesen wurden so gesetzt, dass sich zur Wand keine Fugen bilden, sondern sie direkt miteinander abschließen. Das unterstreicht die Präzision, die heute durch den unsauberen Auftrag der Farbe an Wirkung verloren hat. Es sind eben diese Feinheiten in der Ausführung, die im heutigen Zustand des Hauses verloren gehen und damit die haptisch sinnlich Wirkung und Wahrnehmung wesentlich verändern.

Wittgenstein baute das Haus für seine Schwester Margarethe Stonborough.[2] In der Einrichtung des Hauses überließ er ihr freie Hand – es ging ihm nicht um stilistisches Gesamtkunstwerk. Dennoch hatte er wenige, aber für ihn essentielle Regeln: so war es Margarethe nicht erlaubt Teppiche zu verwenden, oder Lampenschirme. Wittgenstein hatte sich bewusst gegen diese entschieden, nachdem er mit weißen Seidenschirmen experimentiert hatte. Stattdessen ließ er im Saal einfach drei Fassungen mit Glühbirnen anbringen. Eine andere wichtige Regel war der Verzicht auf Vorhänge, da sie die Präzision des Hauses stören würden.[3] Damit es trotzdem für die großen Fensterfronten Möglichkeiten der Abdunkelung gibt, und die Option, sich von äußeren Blick zu schützen, entwickelte er etwas Besonderes: die Metallkurtine.

Ludwig Wittgenstein, das Haus Wittgenstein. Einblick aus dem Saal in Richtung Musikzimmer. Quelle: Privates Foto von AURKITU.

Ludwig Wittgenstein, das Haus Wittgenstein. Einblick aus dem Saal in Richtung Musikzimmer. Quelle: Privates Foto von AURKITU.

Der Begriff der Kurtine hat zweierlei Herkunft. Einerseits wurde der als Bezeichnung für den mittleren Vorhang im Theater verwendet, andererseits wurde er im Militär historisch als Begriff für eine Mauer verwendet, die sich zwischen zwei Verteidigungspunkten befindet. Im österreichischen Theater hingegen wird der brandhemmende und rauchdichte Schutzvorhang zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum als Kurtine bezeichnet. Das impliziert einerseits für die Metallkurtine im Hause Wittgenstein die Funktion von Schutz vor Blicken aber ebenso auch eine gewisse Schutzfunktion. Wittgensteins Metallkurtine ließen sich durch ein ausgeklügeltes System tagsüber im Keller versenken, sodass sie im Boden verschwanden und nicht mehr sichtbar waren. Sie sind 140cm breit, 320cm hoch und je circa 100kg schwer.[4] Die Metallfläche war grau-grünlich lasiert. Doch wie sollte es Margarethe Stonborough möglich sein eine Kurtine von solcher Masse abends einfach aus dem Keller hochziehen zu können? Dahinter steckt – wie auch schon bei den Türen zur Halle – eine Technik, die ein Spiel zwischen Gewicht und Schwerelosigkeit ermöglicht. Es ist ein Flaschenzugsystem, das mit einem exakten Gegengewicht und einem Hebelmechanismus als Griff arbeitet. Das heißt, es gibt in dieser Metallkurtine oben ein eingearbeitetes Loch, in dem man einem Metallsteg einfügt – die Bewegung erfolgt dann von Leichtigkeit und lässt vom dem Gewicht selber nichts mehr erahnen. Eine wirklich beeindruckende Technik, die sich auch heute noch im Haus selber durchführen lässt.

Es sind eben diese Bewegungen, die im Umgang mit dem Haus – wie das Öffnen der Türe, oder das Heben der Metallkurtine – das Gewicht scheinbar negieren. „Die materielle Schwere wird im Umgang, im Gebrauch, in schwerelose Bewegung transformiert.“[5]

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[1] Bernard Leitner,  Das Wittgenstein-Haus, in: Günter Abel (Hrsg.), Ludwig Wittgenstein. Ingenieur. Philosoph. Künstler, Berlin 2007.

[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Ebd.



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